CHAN K'IN
Lacandon Maya, Chiapas
Chan K’in lebt in Lacanja im Biosphärenreservat Montes Azules, in der Nähe der verlassenen Maya-Städte Yaxchilán und Bonampak. Er stammt aus einer Familie bedeutender Schamanen, die nicht zuletzt durch ihr Lebensalter berühmt wurden: Sein Onkel Chan K'in Viejo starb mit 119, sein Großvater ertrank im Alter von 107 auf dem Weg zur Feldarbeit im Fluß. Er selbst wird von seinem Onkel Don Antonio, dem letzten alten Schamanen der Lacandonen, in den Zeremonien und der Heil- und Pflanzenkunde unterrichtet.
Die Lacandonen leben seit Jahrhunderten in starker Abgeschiedenheit im Regenwald von Chiapas. In ihrem Aussehen und ihren Traditionen unterscheiden sie sich von den Maya anderer Regionen – zum Beispiel ist der Glaube an das Ende der Welt nach Ende der “langen Zählung” hier weit verbreitet. Heute leben nur noch einige hundert Lacandonen; ihre ökonomische Grundlage, der Regenwald, ist durch die zunehmende kommerzielle Ausbeutung grundlegend bedroht.
DAS ENDE DER BÄUME UND DES WASSERS
Noch vor zwanzig Jahren verband ein üppiger Regenwald die antike Maya-Metropole Tikal in Guatemala mit den Ruinen von Bonampak in Chiapas. Heute findet sich über Hunderte von Kilometern kein einziger bewaldeter Landstrich mehr. 15 transnationale Holzkonzerne haben seit dem Inkrafttreten von NAFTA Niederlassungen in Mexiko gegründet. Sobald die Bäume gefällt sind, siedeln sich arme Kleinbauern an. Da der Boden nach dem Kahlschlag nur für wenige Jahre ausreichend Nährstoffe für die Agrikulur hat, folgen bald die Viehzüchter, die das längst karge Land billig kaufen. Selbst im Biosphärenreservat Montes Azules, das den letzten bedeutenden Regenwald Mittel- und Nordamerikas beherbergt, wird inzwischen in alarmierendem Tempo gerodet.
In der Kosmovision der Maya sind spirituelle Welt, Natur und Kultur ein untrennbares Ganzes. Die Vorstellung, dass das Schicksal der Menschen eng mit dem anderer Lebewesen verbunden ist, ist in Mythologie und Alltagsleben tief verankert. Die Straßen auf den geistigen Landkarten der klassischen Maya waren ein Netz fließenden Wassers. Flüsse verbanden alles: die Maya miteinander, den Dschungel mit dem Ozean, die Berge und Wälder mit den Städten. Flüsse transportierten die Menschen von der Oberfläche der Erde in die Unterwelt und in den Kosmos. In der klassischen Periode war die Reise mit dem Kanu Teil des Schöpfungsmythos. Im Kontrast zu dieser Auffassung von den „heiligen Flüssen“, betrachten viele heute Wasser als Gold des 21. Jahrhunderts. Während große Teile Mexikos austrocknen, wird die Privatisierung von Wasser vorangetrieben. Alles, von der städtischen Wasserversorgung bis hin zu ganzen Flusstälern, steht zum Verkauf.
Der wahrscheinlich größte Angriff auf Kultur und Umwelt, der Chiapas noch bevorsteht, ist die Ölförderung: unter einer Lagune im Regenwald befindet sich ein riesiger Ölvorrat. Noch haben die Lacandonen, die ein beurkundetes Recht auf den Wald haben, die Erlaubnis für die Erschließung abgelehnt, aber der Druck durch den schrittweise privatisierten staatliche Ölkonzern PEMEX und transationale Unternehmen nimmt zu.