INTERVIEW MIT FRAUKE SANDIG UND ERIC BLACK
Was stand am Anfang Ihres Films?
Eric Black Nach unserem letzten Film haben wir lange darüber nachgedacht, was uns besonders wichtig ist. Das Thema, was uns am meisten beschäftigt hat, war die Umwelt, die Sorge um den Zustand der Umwelt. Je länger wir darüber nachdachten, umso mehr wollten wir dieses Thema mit der Situation indigener Völker verbinden, die wir in bestimmter Weise als „Hüter der Erde“ sehen. Der Arbeitstitel des Films war "Ends of the Earth“, was zwei Bedeutungen hat. Zum einen die letzten Tage der Erde, aber er bedeutet auch, in die entferntesten Winkel der Welt zu gehen – dahin, wohin die transationalen Konzerne gehen, kommen um die letzten Bodenschätze der Erde auszubeuten.
Unser ursprünglicher Plan war, zu vier oder fünf dieser abgeschiedenen Völker zu gehen, nicht nur zu den Maya. Aber als wir in Mexiko angefangen haben, haben wir sofort gedacht:" Liebe Güte, hier ist alles zusammen." Südmexiko hat viele sehr einzigartige Aspekte. Es gibt die Ruinen einer alten Kultur, die aufgehört hat, die Natur zu achten, die die Ressourcen verbraucht hat und auf dem Höhepunkt der klassischen Maya-Periode zerbrach. Es gibt die Zapatisten, die gegen multinationale Konzerne kämpfen und es gibt die sehr bunte, sehr offene Bevölkerung der heutigen Mayas. Es gibt Regenwälder, Berge, Minen, und es gibt alle Probleme dieses Planeten in einem Mikrokosmos. Wir dachten: Okay, das ist es. Wir müssen nirgendwo anders mehr hin.
Frauke Sandig Unser Interesse für Maya hatte anfangs auch damit zu tun, dass dieses Datum, das sogenannte Ende des Mayakalenders 2012 jetzt kurz bevorsteht. Wir dachten, es gibt eine faktische Bedrohung der Erde, durch sehr konkrete, sichtbare Dinge: die Abholzung der Regenwälder, die Zerstörung der Umwelt, der indigenen Völker und ihrer Kultur. Und dieses imaginäre, fiktive Enddatum 2012, das die Maya selbst nicht als solches sehen, schien uns ein interessanter Aufhänger oder Hintergrund zu sein, um einen Film über die wirklich drohenden Enden zu machen.
Sie haben gesagt, dass Sie die indianischen Völker in gewisser Weise als „Hüter der Erde” ansehen. Besteht die Gefahr, sich dem Thema mit einer romantizistischen westlichen Sicht zu nähern?
EB Ich denke, dieser Gegensatz liegt in uns selbst. Die "Erste Welt", wie wir uns nennen, hat autochthone Gesellschaften immer als einen Spiegel benutzt, um sich selbst anzuschauen. Sie erscheinen uns wie eine Projektion des Schlimmsten und des Besten dessen, was wir sind: Unser Bestes sehen wir im "noblen Wilden", das Schlimmste im Hobbeschen Begriff vom aggressiven Primitiven. Nichts davon trägt zur richtigen Darstellung indigener Völker bei. Unser Ansatz war, einen Film zu machen, der zwar auch für ein westliches Publikum trägt, in dem Indígenas aber für sich selbst zu sprechen und ihre Weltsicht darstellen. Es war der Versuch, damit aufzuhören, ein Spiegel zu sein und einen Filter dazwischenzuschieben … was nicht einfach ist.
Wie haben Sie Ihre Protagonisten gefunden?
FS Das hat sich während unserer beiden langen Recherche- und Drehreisen ergeben, als wir jeweils für ein halbes Jahr in Chiapas waren. In der Maya-Welt wird ja viel durch Zufälle befördert. Zuerst haben wir Chan K’in kennengelernt, da sind wir eines Tages in einem Lakandonen-Dorf im Regenwald gelandet. Chan K’in erzählte uns seine Geschichten über Träume und die Prophezeihungen der Ältesten, den Maya-Kalender und 2012 … Die Lakandonen gehören ja zu den wenigen Ausnahmen unter den Mayavölkern, die glauben, dass 2012 die Welt tatsächlich untergeht. Aber auch Chan K’in hat das gar nicht mystisch interpretiert. Er hat gesagt, der Wald ist zerstört, die Flüsse sind verschmutzt, deswegen wird das Wasser seine Farbe ändern und die Welt zu Ende gehen. Das war eine sehr weltliche Erklärung für die Apokalypse und gleichzeitig eng verbunden mit der Mayaspiritualität.
Chepita und Flori haben wir bei einer Tagung über genmanipulierten Mais kennengelernt. Die beiden haben dort einen Vortrag über die Mythologie des Mais gehalten und auch eine kleine Zeremonie gemacht. Sie sind uns sofort aufgefallen, weil wir den Eindruck hatten, dass sie tief in der Mayamythologie verwurzelt sind und sich so gut ausdrücken können, dass die Geschichten und Themen auch für ein westliches Publikum nachvollziehbar werden. Auf Felipe sind wir gestoßen, weil wir nach jemandem gesucht haben, der als spiritueller Führer in Guatemala eine Zeremonie machen könnte – in Guatemala war die Maya-Spiritualität lange unterdrückt und erlebt jetzt eine Auferstehung. Über Bekannte sind wir auf Felipe gekommen, der auch viele Zeremonien für die Überlebenden des Genozids in Guatemala macht.
Wie kam es dazu, dass Sie sich dann nicht nur in Chiapas, sondern auch in Guatemala waren?
EB Anfangs wollten wir uns auf Chiapas beschränken. Es war Flori mit ihrer Geschichte, die uns dazu bewegt hat, über die Grenze nach Guatemala zu gehen. Die größten Massaker dort fanden nicht vor 500 Jahren, sondern vor 30 Jahren statt. Floris Familie und ein großer Teil ihres Heimatdorfes sind umgebracht worden. Und genau dort ist heute die größte Goldmine Zentralamerikas, wie uns Flori eher nebenbei erzählt hat. Uns war sofort klar, dass wir der Geschichte dieser Mine nachgehen müssen.
War es schwer, mit den Zapatistas in Kontakt zu kommen? Wie haben Sie Jerónimo kennengelernt?
EB Der Kontakt zur EZLN kam durch den Freund eines alten Freundes von mir zustande, der mit den Zapatisten gearbeitet hat. Uns war wichtig, nicht einen "Comandante" zu interviewen, sondern wir haben jemand Bodenständigen gesucht, mit einem alltäglichen Leben, der Bäume und den Boden liebt. Jerónimo war 1994 beim Aufstand gegen die mexikanische Regierung ein Comandante, aber inzwischen ist er zur Landwirtschaft zurückgekehrt. Er ist sehr wortgewandt, aber auch sehr misstrauisch. Sein Vertrauen verdanken wir allein diesem Freund, der seit 20 Jahren mit den Zapatisten arbeitet.
FS Was uns wirklich fasziniert hat, war der Widerstandsgeist der Maya; die Zapatisten sind nicht umsonst eine Maya-Bewegung. Aber es sind nicht nur die Zapatisten. Fast in jedem Dorf haben wir diesen Widerstandsgeist erfahren, auch in den Dörfern in Guatemala um die Goldmine. Eine Frau wie Crisanta kappt ganz allein die Stromleitungen der Goldmine, weil die den Strommast ohne Erlaubnis auf ihr Gelände gepflanzt haben.
Wie sehr sind Sie von einem ausgearbeiteten Konzept ausgegangen, wie sehr haben Sie sich durch Begegnungen und die Erfahrungen vor Ort leiten lassen?
EB Ich denke, das hängt vor allem mit unserer Art zusammen, wie wir Filme machen. Wir sehen unsere Filme als Suche, als Abenteuer. Wir mögen es, Filme zu machen, bei denen wir nicht wissen, wie sie enden werden. Wir denken nicht: Wir werden das filmen, das, das und das ... Bei uns ist das ein wirklicher Prozess, der sehr lange dauert.
Da war diese Welt, über die wir wenig wussten. Wir wussten, dass wir wenig wussten, und je tiefer wir zu Beginn eintauchten, umso mehr klarer wurde uns das. Unsere erste Erfahrung in Chiapas war, dass sich überall, wo wir hinkamen, ganz unterschiedliche Welten eröffneten, die nichts mit dem zu tun zu haben schienen, was wir am Tag zuvor erlebt hatten; unglaublich unterschiedliche Menschen, Gemeinschaften, Weltsichten, auf engstem Raum.
FS Dieser Prozess des Eintauchens und Kennenlernens war auch nicht einfach, weil die Maya gegenüber Außenseitern wie uns sicherlich zu einem der verschlossensten Völker gehören. Wenn man einmal aufgenommen ist, dann sind sie unglaublich gastfreundlich und herzlich. Aber man musste immer mit sehr viel Respekt warten, bis die Leute Zeit für einen hatten. Es konnte Wochen dauern, bis sie Zeit für ein Interview hatten. Zum Beispiel waren die Maisernte oder bestimmte Zeremonien einfach wichtiger als unser Interview.
Sie sind mit einem sehr weit gefächerten Ansatz, mit einem Interesse an ganz unterschiedlichen Aspekten an diesen Film gegangen. Wie haben Sie diese verschiedenen Aspekte eingegrenzt, ohne den Zusammenhang zu verlieren?
FS Das Thema ist natürlich unglaublich komplex. Wir wollten die Kultur der Maya und ihre Mythologie einbeziehen, das Ende des Maya-Kalenders 2012, die vielfältigen Umweltprobleme vom genmanipulierten Mais über abgeholzte Wälder bis zu den zerstörerischen Goldminen, auch die Migration war ein Thema. Und je länger wir dort waren, je tiefer wir diese Welt kennengelernt haben, desto mehr waren wir davon überzeugt, dass diese Bereiche zusammengehören. Es ist dort alles miteinander verbunden: die Politik, die Kultur, die Spiritualität. Das gehört zusammen, weil es von den Maya so erfahren und gelebt wird, das ist der Hintergrund der Spiritualität und Philosophie der Maya.
EB Ich glaube, diese Unterscheidung sagt mehr über uns als über die Maya. Wir haben eine Kultur entwickelt, die diese Dinge trennt.
Hatten Sie von Anfang an vor, sich auf Maya der jüngeren Generation zu konzentriern?
FS Ja, uns hat interessiert, wie junge Leute von heute die Maya-Kultur sehen und leben. Dazu kam, dass es 32 verschiedene Maya-Sprachen gibt – selbst einige unsere Protagonisten hätten sich untereinander nicht in ihrer Sprache verständigen können. Deswegen haben wir Leute gesucht, die sich gut auf Spanisch ausdrücken können, und das sind eben die Jüngeren, die in der Schule von klein auf Spanisch gelernt haben.
Es gibt im Film immer wieder Gespräche mit den Protagonisten, die in einer sehr ruhigen Situation stattfinden und die auch formal von den situativen Szenen abgesetzt sind.
EB Was Sie da beschreiben, hat mit dem dokumentarischen Stil zu tun, den wir für uns entwickelt haben. Ich glaube, dass er in diesem Fall besonders gut funktionierte, weil er es ermöglicht, mit einer sehr kleinen Crew zu arbeiten, meist zwei oder drei Leute, die überall hin gehen können, auch über eine längere Zeit. Wenn wir von einem Protagonist überzeugt waren, haben wir oft vier- bis fünfstündige Interviews geführt, um ihn kennenzulernen und in seine Geschichte einzutauchen; manchmal haben wir dann noch Folgeinterviews gedreht. Die Idee ist, dann wieder zu den Protagonisten zu kommen und Situationen und Bilder zu finden, die zu dem schon gedrehten Interview passen – mit einem unglaublich klaren Ton, den man in allen späteren Situationen benutzen kann. Das ist ein Konzept von Dokumentarfilm, der uns auch geholfen hat, 13 Monate lang in einem rauen, manchmal gefährlichen Land zu arbeiten. Wir machen das Licht, den Ton, die Interviews ... was Frauke nicht macht, mache ich, und umgekehrt, oder unsere Assistentin Flor …
FS … Flor, unsere indigene Assistentin, war für diesen Film sehr wichtig. Sie ist eine Mixteka aus Oaxaca, wir sind eng befreundet mit ihr. Ich glaube, das hat uns viele Türen geöffnet.
EB Vor allem am Anfang. Flor ist zu den Leuten gegangen und sagte: „Das sind gute Menschen. Ich kenne sie, ich habe mit ihnen gearbeitet, ich wurde von ihnen gefilmt und ich weiß, dass ihre Herzen am richtigen Fleck sind.“ In der indigenen Kultur ist das sehr wichtig, wenn das gleich zu Beginn gesagt wird. Und so war es auch mit den Zapatisten.
Noch einmal zu den langen, intensiven Interviews: Was passiert da? Werden die mit der Zeit mehr zu einem persönlichen Gespräch, das nicht nur durch Fragen angeleitet und motiviert ist?
FS Die Leute haben sich unglaublich geöffnet. Sie haben sehr tiefe Erinnerungen und Erfahrungen offenbart und ihre Lebensgeschichten erzählt. Ich glaube, das ist nur möglich, wenn man sich sehr lange und tiefgehend auf etwas einlässt. Wir bereiten uns immer sehr lange auf diese Interviews vor. Im Fall der Maya und ganz besonders bei Chepita und Flori hatte ich das Gefühl, dass sie sich entschieden hatten: Sie kamen wirklich, um ihre Geschichte zu erzählen. Man musste nicht viel fragen. Chepita erzählte ihre ganze Kindheit, das kam aus dem Herzen. Ich glaube, wenn man einmal die Erlaubnis für ein solches Gespräch bekommen hat, dann geben sie auch alles.
Welche Bedeutung hatte die „Erlaubnis“ gerade für das Filmen der Zeremonien? Bis wohin reichte diese Erlaubnis?
EB Ich würde zwei Dinge sagen. Erstens, als ich mehr Erfahrung und Nähe zur Maya-Kultur hatte, habe ich tatsächlich die Kamera genommen und darum gebeten, sie zu segnen, bevor wir anfingen zu drehen. Das war sehr offen, so dass jeder sehen konnte, dass ich um Erlaubnis gebeten hatte und mir die Erlaubnis gewährt worden war. Zweitens, in manchen Städten wie Tenejapa werden die Maya so sehr von den evangelikalen Missionaren unter Druck gesetzt, die die alten Bräuche vernichten wollen, dass sie ein großes Interesse daran haben, dass die Zeremonien dokumentiert werden. Sie selbst wollten uns dabei haben, nicht nur wegen der Zeremonien.
Sie sagten: „Warum kommt ihr nicht morgen wieder? Dann machen wir das und das …“ Sie haben uns gebeten, auch sehr intime, sehr ungewöhnliche Situationen zu filmen. Das Filmen der Höhlenzeremonie und ähnliche Dinge wären früher nicht möglich gewesen. Es ist traurig, aber der Grund, warum der Film an so vielen Stellen dieses Maß an Intimität erreicht, liegt darin, dass uns die Maya dabei haben wollten. Die Maya-Kultur ist in Bedrängnis, sie wird unterdrückt, und den Maya ist das sehr bewusst. Sie machen sich Sorgen, dass ihre Welt zerstört wird. Sie möchten sie dokumentiert haben, und sie verstehen, dass die Medien ein Teil des Kampfes sind.
Ihr Film arbeitet mit beeindruckenden, immer wieder auch assoziativen Bildern. Was war Ihr visuelles Konzept?
EB Wir hatten ein, wie Sie auf deutsch sagen, „grobes Konzept“. Aber für mich ist das wirklich ein Prozess: Zu sehen, was sich entwickelt, wenn man so lange dort ist. Man hat eine Menge Zeit darüber nachzudenken, was man filmen will. Natürlich gab es bestimmte Dinge, für die wir uns von Anfang an interessierten. Aber sogar über den Popol Vuh haben wir erst nachgedacht, als wir dort waren …
FS … Aber wir hatten schon von Anfang an das Konzept, dass man die alte Kultur der Maya und deren mythologische Welt visuell einbezieht. Zum Beispiel spielt das Symbol der Schildkröte eine große Rolle in der mündlichen Überlieferung vieler Völker der Maya, weil sie die Trägerin der Welt ist. Der Mais als mythologisches Symbol war uns wichtig, der Himmel als Welt der Götter, die Ceiba als Weltenbaum, der die Oberwelt mit der Unterwelt verbindet, auch die Ruinen im Regenwald, die als Metapher für eine untergegangene Kultur stehen. Dies alles bildet einen Kontrast oder vielleicht auch ein Zwischenkapitel zur heutigen Welt der Maya.
EB Ja, diese Ideen gab es natürlich. Aber für mich sind das noch keine Bilder. Um Bilder zu bekommen, muss man wirklich rausgehen und suchen, man muss entdecken, welche Bilder diese Konzepte lebendig machen.
Wie finden Sie solche Bilder? Was ist der Impuls zu sagen: Das drehe ich, das hat eine eigene Kraft? Spielt der Zufall eine Rolle?
EB Wenn man so will, kann man das Zufall nennen. Wenn man mit einer vorgefertigten Idee da rausgeht, wenn man nicht bereit ist, zu spielen, dann bekommt man nicht das, was man will. Man muss bereit sein, sich ganz reinzubegeben, sich von den Dingen beeinflussen und bewegen zu lassen, um sie zu filmen. Und es braucht natürlich eine Unmenge an Geduld, an Orte zurückzugehen und Dinge wieder und wieder zu filmen, bis ich die richtigen Bilder habe. Oft gab es Dinge, von denen wir nicht wussten, wie sie in den Film passen würden. Ich erinnere mich an die Müllkippe zwischen Guatemala und Mexiko, mit den Geiern die über den brennenden Müll und die schönen Berge im Hintergrund flogen. Ich wusste sofort, dass ich das filmen wollte. Viele unserer Bilder sind so entstanden, sogar die Wolkensequenzen. Unser Haus dort hatte eine Dachterrasse, die der höchste Punkt der Umgebung war. Die Wolken kamen von drei Richtungen und prallten auf einer Bergspitze aufeinander. Ich dachte: Wahnsinn, diese Wolken sind unglaublich. Mach dir später Sorgen, wie und wo sie in den Film passen … Ich liebe es zu filmen und mit Kameras zu arbeiten. Für mich ist das „fun“.
Sie arbeiten in diesem Film oft mit langen, sehr ruhigen Schwenks. War das eine bewusste Entscheidung, die mit der Thematik zu tun hat, mit der Verbindung der Dinge?
EB In unseren früheren Filmen, vor allem in „Frozen Angels“ haben wir versucht ,die Kamera immer in Bewegung zu halten. Das war in Los Angeles einfach, weil alles in Bewegung ist. Bei den Maya war das nicht so einfach. Ich glaube, dass das auch mit den Begrenzungen zusammenhängt, wenn man in einem Maya Dorf filmt: Man kann da nicht mit einer Steadycam aufkreuzen, man würde wie ein Marsmensch aussehen. Man kann nicht mit einem Auto durch die Dörfer fahren, man kann keinen riesigen Kran aufbauen … Ein guter Teil des Films wurde mit Handkamera gefilmt, was ich sonst nie mache. Das war eine neue Erfahrung für mich. Ich habe dafür eine kleine Vorrichtung gebaut, das hat es einfacher gemacht.
Die Schwenks, würde ich sagen, waren in gewisser Weise ein Ergebnis dieser Einschränkungen. Vielleicht hätte ich das unter anderen Konditionen anders gelöst. Aber natürlich braucht es trotzdem immer einen spezifischen Grund für einen Schwenk von hier nach dort. Bilder sind Sprache, eine ganz eigene Sprache, sie haben eine Grammatik.
Sie haben über einen Zeitraum von mehreren Jahren viel Zeit in Chiapas und Guatemala verbracht. Dann kommen Sie zurück, mit neuen Erfahrungen, mit Eindrücken einer ganz anderen Welt – und 150 Stunden Material. Was passiert dann?
FS Wir sichten. Wir sortieren und ordnen.
EB Wir leiden... Wir wollten keine Erzäherstimme im Film, die sagt: „So denken die Maya“. Oder: „Jetzt fahren wir von hier nach da.“ Wir wollten immer einen Protagonisten haben, der erzählt, was die Verbindung ist zwischen z.B. Mais und Migration. Das macht es komplizierter, die verschiedenen Ideen zusammenzubringen.
War die fast kreisförmige Dramaturgie, die der Film jetzt hat, von Anfang an Teil Ihres Konzepts?
FS Der Kreis war von Anfang an wichtig, denn er ist ein grundlegendes Motiv in der Maya-Kultur. Er beschreibt den Kreislauf der Natur, den Kreis des Kalenders. Die Zeit ist kreisförmig, zyklisch. Auch die Maya-Zeremonien haben alle als Grundlage den Kreis. Der Kreis ist zentral, deshalb dachten wir, der Film muss eine Art von Kreisform haben, die sich wieder schließt.
Wie schwer ist es, einen Film in dieser Kreisform zu erzählen?
FS Die eigentliche Dramaturgie entsteht ja beim Dokumentarfilm meistens im Schnitt. In diesem Fall war das ganz extrem so, weil wir ein unglaubliches Mosaik hatten, persönliche Geschichten, politische und ökologische Geschichten, spirituelle und mythologische Ebenen. Das alles in einen Rahmen zu bringen, ob das nun eine Linie oder ein Kreis ist, war extrem schwierig. Wir haben zuerst die Geschichten einzelner Protagonisten geschnitten, und Eric hat parallel dazu an den Popol Vuh-Sequenzen gearbeitet.
EB Das war wirklich die schwerste Arbeit, die wir jemals gemacht haben, und wir mussten durch einige Krisen durch: Wie bringen wir das alles zusammen? Wie erhalten wir die Proportionen, vor allem zwischen den politischen und den spirituellen Aspekten des Films? Wie kann der Drahtseilakt zwischen den zwei Welten gelingen, wie kann der Maya-Anteil bewahrt und gleichzeitig einem westlichen Publikum zugänglich gemacht werden?
Inwieweit bleibt der westliche Blick notwendig präsent? Wie kann man eine Weltsicht authentisch ausdrücken, die so anders ist als westliche Konzepte?
EB Das ist etwas, worüber wir viel nachgedacht haben, als wir dort waren. Ich dachte: „Ja, wir wollen eine indigene Sicht zeigen, aber wem wollen wir die zeigen? – Wir wollen die Maya erreichen, und das ist uns mit unseren Protagonisten schon gelungen. Aber der Film muss auch einem Publikum in Deutschland, in Kanada oder den USA etwas sagen.“ Es ist ein Austausch, ob wir das wollen oder nicht. Es gibt ein paar wenige Maya-Filmemacher. Ihre Arbeit tendiert dazu, die Zeremonien sehr ausführlich und vollständig zu dokumentieren. Mich fasziniert das total, aber ich bezweifle, dass es dafür ein Publikum in Ohio gibt … Ich denke, unsere Aufgabe war es, den Maya und dem, was sie zu sagen haben, nicht in die Quere zu kommen. Und war auf eine Weise, die es jemand in Bayern ermöglicht, 98 Minuten lang etwas anzuschauen, was für ihn vollkommen exotisch ist. Wir wollten diese Schwelle überwinden.
FS Ganz überraschend war vor einigen Tagen unsere Protagonistin Chepita in Berlin zu Besuch, so dass wir ihr den Film zeigen konnten. Sie sagte: Auf so einen Film haben wir gewartet. Vielleicht wird die Stimme der indigenen Völker in der Welt jetzt besser verstanden. In diesem Moment hatten wir das Gefühl, dass der Film autorisiert ist.